Interview mit Claudia Boysen – Drehbuchautorin und Regisseurin

 

Die Charaktere der Figuren Marie und Sarah sind sehr unterschiedlich. Ist es das, was die Anziehung der beiden ausmacht?
Ja, definitiv. Sarah sehnt sich nach dieser gewissen Stabilität, die Marie ihr bieten kann, sie fühlt sich von ihr geliebt und geschützt, sie ist wie ein Anker, der ihr die Sicherheit gibt, die sie in entscheidenden Stationen ihres Lebens nicht hatte und will das festhalten. Während Sarah für Marie wiederum Freiheit bedeutet – ihren Impulsen folgen, aus sich heraus gehen, lachen, tanzen, fühlen, Dinge machen, die sie sonst nicht macht. Und so inspirieren sie sich beide.

 

In einer Szene des Films nähert sich Marie gefährlich nahe dem Abgrund. Warum lassen Sie die Figur das machen?
Das ist für mich ein Bild für ihre inneren Abgründe. Diese physische Annäherung an den inneren Abgrund ist mir selbst auch bekannt. Das passiert nicht auf der rationalen Ebene – das würde nicht zur Figur der Marie passen – sondern sie testet in einem emotionalen Ausnahmezustand diese Grenze aus und das wird damit symbolisch.

 

Welche der beiden Figuren ist die Hauptfigur? Oder sind es beide?Strukturell gesehen ist sicherlich Marie die Hauptfigur, weil die Handlung durch ihre Augen erzählt wird und der Zuschauer ihre Perspektive einnimmt. Mich persönlich reizen die Figuren, die nicht so schillernd sind, immer etwas mehr. Sarah ist insofern die Hauptfigur, als dass sie den Fokus von Marie darstellt, oder ihres Interesses und ihrer Welt, zumindest eine Zeit lang. In dem Sinne wird sie zum Gegenstand, in filmstruktureller Hinsicht, zur Hauptfigur.

 

Hat es dem Film geholfen, dass er auf den Kanarischen Inseln und nicht irgendwo an der Nordsee spielt?
Ja, natürlich, allein der Umstand, dass es immer warm ist, ist hilfreich, weil dadurch das Körpergefühl verändert wird. Wir wissen ja mittlerweile, dass Sonneneinstrahlung auch die Libido anheizt, was sicherlich zu der erotischen Spannung am Set beigetragen hat, es macht einfach offener. Für Felicia war es ja der erste Film, das andere Klima hat ihr glaube ich geholfen, sich nicht wieder in ihr altes Selbst zurückzuziehen. Wie im Urlaub, wenn man in eine andere Rolle schlüpfen kann. Es war ein abgeschlossenes Universum, weit weg, auf einer Insel, wo sich alle auf dieses Experiment einlassen konnten.

 

Gibt es eine Szene, die besonders schwer zu realisieren war?
Die Nachtszene auf dem Campingplatz am Berg war aufgrund der Dunkelheit etwas schwierig umzusetzen. Wir hatten keine Möglichkeit, irgendwelche Scheinwerfer aufzustellen, weil es dort oben keine Stromquellen gab. Wir haben mit vergleichsweise kleinen Lampen versucht, die nächtliche Umgebung auszuleuchten, oder zumindest so weit zu erhellen, dass wir etwas sehen konnten. Außerdem haben wir auf La Palma öfter in größeren Menschenmengen gedreht, was auch nicht einfach ist. Damit hatten wir allerdings Glück, die Palmeros waren sehr entspannt und haben sich auf dem Fest nicht von uns stören lassen, nachdem wir ihre Erlaubnis eingeholt hatten. Das war natürlich grandios, dadurch entsteht eine sehr authentische Atmosphäre. Es hat immer Vorzüge und Nachteile Filme so zu machen, so geht es schnell und birgt sehr viele Überraschungen; man ist ganz glücklich, wenn alles geklappt hat, während der kreative Partner Zufall mit dabei war und so schöne Sachen entstehen können.

 

In dem Film gibt es eine Frühstücksszene, die sehr einladend wirkt, man möchte am liebsten dabei sein …
Oh ja, das Essen auf La Palma war sehr gut, frische Produkte, Tomaten und Melonen, Avocados, die gerade vom Baum gefallen sind, frisch gereift von der Sonne. Ich glaube jeder, der mal im Süden war, dem läuft das Wasser im Mund zusammen, das ist nicht vergleichbar mit den Sachen, die man in Deutschland bekommt. Ich esse gerne, vor allem miteinander essen ist etwas Schönes. Sarah will Marie eine Freude machen und bereitet ihr ein schönes Frühstück, ich finde, Essen ist etwas unglaublich Sinnliches und verbindet, das war für mich ein Aspekt dieser Freundschaft. In diesem Film hat es zwar einen leicht manipulativen Faktor, aber es hat auch etwas Unschuldiges. Das liegt in der Figur der Sarah, das Sinnliche und das Kalkulierte. Das macht die Spannung und das Interessante an ihr aus.

 

Was haben Sie durch „Ungesagt“ dazugelernt?
Vor allem habe ich einige Dinge über mich gelernt. Die Machart des Films war für mich etwas ungewöhnlich, da ich das Drehbuch innerhalb von vier Wochen geschrieben habe, danach waren wir auch schon mitten in der Produktion. Nach dem Casten der Schauspieler sind wir direkt nach La Palma zu den Proben geflogen. So wurde der ganze Bogen des Films nicht noch mal infrage gestellt und der Prozess der Reflexion zum Schnittplatz verlegt. Die Fülle des Materials, das wir hatten, hat mir noch mal Möglichkeiten eröffnet und an diesem Punkt fing der Lernprozess für mich an. Da habe ich angefangen zu hinterfragen, warum ich diesen Film gemacht habe und warum ich ihn so gemacht habe, wie er nun ist. Da konnte ich einiges über meine Sehnsüchte, Ängste und Grenzen lernen, das war sehr spannend.

 

Da steckt also auch Persönliches und Intimes von Ihnen in Ungesagt?
Ja, auf jeden Fall. Vordergründiges, wie zum Beispiel, dass ich in dem Alter der Darstellerinnen auch mal Erfahrungen mit einer Frau gemacht habe. Wobei ich gemerkt habe, dass das nichts ist, was mich weiter interessiert. Oder, dass ich diese besondere Intimität, die Frauen miteinander haben und teilen können, ohne sexuell zu sein, sehr schätze. Aber das, was es wirklich in der Tiefe mit mir zu tun hat, die Unsicherheiten und Wünsche, kristallisierten sich während des Prozesses, der ja in meinem Fall sehr frei entstehen konnte, heraus. Wäre der Film von vielen Menschen, die mitentscheiden wollen, geformt worden, hätte ich mich darin auch weniger wiederfinden können.